Die Käsmacher im Schönbuch fielen uns zuerst in Vincent Klinks Sternerestaurant Wielandshöhe in Stuttgart auf. Dann begegneten sie uns in einem Selbstbedienungshofladen auf den Härten. Dann an einem Stand auf dem Tübinger Wochenmarkt. In erstem Fall war es Ziegenkäse, im zweiten waren Kartoffeln, im dritten Linsen. Und dann fanden wir: Ein Hof, der sowohl Sternerestaurant als auch Selbstbedienungshofladen beliefert, von Ziegenkäse bis Kartoffeln so toll produziert, der fasziniert uns.
Und so sitzt Hartmut Binder, der mit seiner Frau Ulrike und seinen Söhnen Frieder und Lukas und zehn Mitarbeitenden hinter dem Namen Käsmacher im Schönbuch steht, nun auf der Veranda seines Hofs und versichert: Genauso so einen Hof wollte er immer haben. Der nachhaltig höchste Qualität erzeugt. Der eine breite Kundschaft erreicht. Der möglichst verschiedene Produkte herstellt. „Ich halte nichts davon, alles auf eine Karte zu setzen. Wenn Dir dann etwas wegbricht, stehst Du da“, sagt Hartmut Binder. Und begründet das auch gleich am Herzstück seines Sortiments, dem Ziegenkäse. Vor allem dem Ziegenfrischkäse.
Bei Ziegenkäse ist es nämlich so: die Ziegen geben über das Jahr in einer Wellenbewegung Milch. Nach der Geburt von Zicklein steigt die Milchmenge, ab Sommer fällt sie dann wieder, bis zur nächsten Befruchtung. Dieser Rhythmus ließe sich nur durch Hormone oder Lichtsteuerung ändern – für den nach Bioland-Kriterien arbeitenden Hof der Käsmacher keine Alternative. „Wir melken alle Ziegen ungefähr 300 Tage: Von Mitte Februar bis kurz vor Weihnachten. Und dann stellen wir die Tiere aktiv trocken“, erzählt Hartmut Binder. „Wir melken also kurz vor Weihnachten das letzte Mal und geben den Ziegen dann gute zwei Monate Melkpause bis Mitte Februar. Das tut den Ziegen gut und uns auch.“
Zwei Monate im Jahr gibt es also keine Milch. Und damit auch keinen Käse, den die Binders verkaufen können. „Deswegen ist der Hof auch so breit aufgestellt. In der Zeit konzentrieren wir uns eben auf andere Erzeugnisse.“ Und das funktioniert nicht nur, weil der Hof in Sachen Produkte so vielfältig ist sondern auch bei den Kund:innen.
Etwa ein Drittel geht über den Hofladen, ein Drittel über die Gastronomie und ein Drittel über den Feinkost- und Einzelhandel auf die Tische. „Wir haben Kunden, die von uns Woche für Woche zwischen ein und 30 Kilo Käse beziehen“, erzählt Hartmund Binder. „So können wir es uns eben auch leisten, acht Wochen im Jahr zu sagen: Es gibt jetzt keinen Käse.“ Von Beginn an haben die Binders darauf geachtet, nicht in anonymen Strukturen zu arbeiten. Stattdessen fahren sie mit dem Lieferauto umher und besuchen die Abnehmer:innen persönlich.
„Wir haben uns nicht irgendwo JWD Kunden gesucht sondern im Umkreis von 60 Kilometern. So können wir kompakt ausliefern. Das setzt auch dem Wachstum Grenzen: Wenn wir deutlich mehr als die jetzigen 120 Ziegen haben wollten, müssten wir diesen Auslieferradius weiten. Und das ergäbe keinen Sinn nach dem bisherigen Konzept.“ Mit dem bisherigen Konzept aber sind sie gut gefahren.
Viele Hofkäser:innen sind Quereinsteiger:innen
Die Geschichte des Käsmacher-Hofs erzählt nämlich nicht nur davon, wie aus Vielfalt Kraft entsteht. Sondern auch davon, wie erst ein klares Konzept auch für Qualität sorgt. Denn so breit das Angebot der Käsmacher auch ist: Fast alles dreht sich hier um die Ziegen: Die Linsen etwa brauchen als Stützpflanzen zum Wachsen Hafer. Den wiederum fressen die Ziegen. Die Kartoffeln ergänzen die Fruchtfolge auf den Feldern und schaffen ein kontinuierliches Geschäft über das Jahr hinweg, genau wie die Backstube, deren Produkte zum Teil an die gleichen Läden gehen wie der Käse.
Bis aber der Mittelpunkt dieses Hofes, der Ziegenkäse, die Qualität hatte, aus der ein in der Region berühmter Name entstand, dauerte es seine Zeit. Den Hof auf Ziegenhaltung umgestellt, hat Hartmut Binder. Weil die Bauern der Region oft nicht wussten, wohin mit dem ganzen Ziegennachwuchs, wurde dieser nach dem ersten Jahr Weide in Pfullingen nach Afrika verkauft. Binder kaufte aus diesem Bestand in den 90er Jahren einige der Ziegen, lieferte die Milch aber zunächst an eine andere Käserei. Erst als diese den Betrieb einstellte, stiegen die Binders in das Geschäft des Käsens ein. Das ist nun 22 Jahre her.
Und das Geschäft des Hofkäsens damals eigentlich noch nicht erfunden. Die Deutschen kannten Gouda und Emmentaler aus dem Supermarkt, wer sich etwas gönnte, kaufte allenfalls Käse aus Frankreich. Qualitätskäse aus Deutschland gab es nicht. „Hofkäsereien sind zu der Zeit eigentlich alle über Quereinsteiger gegründet worden“, sagt Hartmut Binder. Das Berufsbild des Hofkäsers gab es nicht.
„Wir haben dann mit Frischkäse angefangen. Wenn man sich an die Rezepte hält und sauber arbeitet, entsteht schon ein passabler Käse“, sagt Hartmut Binder. Es dauerte dann eben eine Zeit, bis jeder Handgriff so saß wie heute. „Aber es ist bis heute so, dass ich sagen würde: Ich kann sehr guten Käse machen, aber mir fehlen manche Hintergründe. Um mit einem Bild zu sprechen: Nur, weil man passabel nach Noten Musik machen kann, kann man noch lange nicht improvisieren.“
Das Dilemma mit dem Ziegenfleisch
Was angesichts der Käse, die hier entstehen, eine wunderbare Untertreibung ist. Schließlich ist der nicht umsonst ständig ausverkauft und gilt in Stuttgarts Feinkostläden wie gehobener Gastronomie als angesagt. Doch so vielfältig und kreativ die Binders bei der Gestaltung ihres Hofes sind, so konsequent sind sie im Geschäft: Der Hof wächst nicht mehr, als er verträgt. Und Qualität hat ihren Preis. Seit einigen Jahren gehen die Binders nicht mehr aktiv auf Kundensuche sondern entwickeln das Geschäft mit den vorhandenen Partner:innen. Und Rabattdiskussionen kommen überhaupt nicht in Frage. „Wir machen den Preis“, sagt Hartmut Binder dazu lapidar. Das geht auch, weil derzeit an sechs Produktionstagen in der Woche nicht mehr als 2500 Liter Milch verkäst werden – und das war es.
Eine unerledigte Aufgabe aber gibt es bei den Käsmachern noch: Weil die Ziegen jedes Jahr Lämmer kriegen, um den Milchfluss zu garantieren, gibt es insgesamt mehr Ziegen, als es für die Käserei braucht. Ziegenfleisch aber hat es in Deutschland schwer. Wenn, wie während Corona geschehen, Vincent Klink den Hof besucht, und am Tag danach öffentlich für ein Rezept mit Zickleinleber wirbt, läuft der Verkauf besser. In normalen Zeiten aber ist das schwierig.
Die Binders aber wollen sich davor nicht drücken. „Wenn man als Biobetrieb arbeitet, kann man nicht nur die Rosinengeschäftsmodelle bearbeiten. Sie müssen sich dann schon auch um das Ganze kümmern und deswegen bemühen wir uns, das Zickleinfleisch zumindest kostendeckend zu verkaufen“, sagt Binder. Auch dabei hilft wieder die Partnerschaft zu aufgeschlossenen Gastronomen: Die Wielandshöhe oder die ebenfalls ausschließlich empfehlenswerte Speisekammer West in Stuttgart etwa, heben immer wieder Zicklein auf die Karte. Das Fleisch ist etwas zarter als Lamm, eignet sich vor allem zum Schmoren und Backen. Lediglich Kurzgebratenes gibt es wegen des kleinen Filet-Anteils eher weniger. Diese Stärken wollen die Binders künftig noch stärker herausstellen. Zu Linsen, Kartoffeln und Ziegenkäse jedenfalls passt es blendend.
Adresse: Die Käsmacher im Schönbuch, Waldenbucher Str. 75, 71093 Weil im Schönbuch
ÖPNV: Schönbuch-Bahn ab Böblingen HBF bis Weil Untere Halde. Von da aus 20 Minuten zu Fuß.